Oben, endlich oben. Meine Beine zittern noch leicht – teils vor Kälte, teils vor Anspannung. Adrenalingeschwängert rauscht das Blut durch meine Ohren, wie in Trance setze ich immer noch einen Fuß vor den nächsten. Meine Hände spüre ich schon seit einer Weile nur noch dumpf. Aber das spielt alles keine Rolle. Ich bin oben.
Aber wie kam ich überhaupt hierher?
Alles begann mit einem Sonderangebot von Megabus. Zehn Euro von Berlin nach München und zurück. Geiler Deal für meinen Kumpel Robert und mich. Und von München ist es nur noch ein Katzensprung ins Karwendelgebirge und in die Nordalpen. Also fix noch ein Anschlussticket von München nach Garmisch-Partenkirchen gebucht und ab geht die Luzi.
Soweit, so gut. Allerdings hatten wir die Rechnung ohne das Wetter gemacht. Zwei Tage vor der Abfahrt kam die Ernüchterung. Eine Woche lang durchgehend Regen, Wolken und arschkalt in der gesamten Nordalpenregion. Von Garmisch bis Innsbruck – nichts zu holen. Bleibt nur die Flucht nach vorn, weiter in die Südalpen. Auch dort bescheidene Wetteraussichten, wenn auch weitaus angenehmer als im Norden.
Ganz egal, ich muss raus aus dem Haus, raus aus Berlin, raus aus dem Trott. Also ab nach Bozen. Ohne Plan, dafür mit Improvisationstalent und Zelt.
Davor muss ich aber kurz den Rucksack packen. Da uns die Tour auf den Berg führt, müssen ein paar grundlegende Dinge mit dabei sein. Wenn man abends um 20 Uhr nach einem langen Marsch das Zelt in Gipfelnähe aufschlägt, sollte man besser nichts wichtiges vergessen haben.
Berg-Packliste:
- Gaskocher
- gute, dicke Isomatte (Bodenfrost!)
- (Daunen-)Schlafsack (Komfortzone ca. +2 Grad)
- Sawyer Mini Wasserfilter (spart einfach so viel Gewicht)
- Taschenmesser
- LED Lenser Taschenlampe
- Feuerzeug / Feuerstein
- gutes Schuhwerk und warme Socken
- Mütze
- funktionale, leichte Klamotten
Foto-Ausrüstung für die Tour:
- Sony Alpha 6000
- Sony SEL35F18
- Sony SEL16F28
- GoPro Hero 4 Black
- Benro A1980F Stativ
- Slik SL-KSBH280 DQ Kugelkopf
Südtirol – a great place for Busfahren
Nach rund 14 Stunden im Bus kommen wir mittags in Bozen an. Wir sind stark übernächtigt und gerädert, aber haben dank funktionierendem WLAN im Bus den ultimativen Plan in der Tasche. Wir laufen am Samstag und Sonntag von Petersberg auf das Weißhorn (2317 m) und dann am Montag durch die Bletterbachschlucht zurück zu irgendeiner Bushaltestelle, von der wir dann nach Bozen zurückfahren, wo um 17.40 Uhr unser Bus nach München bzw. nach Berlin fährt. Organisation to the allerfullest.
Von Bozen geht es also mit dem Zug in Richtung Süden nach Auer und von dort per Bus über Aldein nach Petersberg. Für den Transport in Südtirol lohnt sich übrigens die so genannte Wertkarte des Südtiroler Verkehrsverbundes. Diese funktioniert wie eine Prepaid-Karte für das Handy. Man kauft sich ein Guthaben von 10 Euro und kann dieses Guthaben dann in allen öffentlichen Verkehrsmitteln verfahren. Und da sich die Fahrtpreise nach Kilometern (etwa 18 Cent / km) berechnen, fährt man sogar verblüffend günstig.
Alles in allem sind wir knapp zwei Stunden mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, die uns durch malerische Landschaften und über Serpentinenstraßen zum Ausgangspunkt unserer Wandertour bringen. Inklusive regionaler Tipps vom ortskundigen Busfahrer. Und das Ganze für rund vier Euro. Eat this, BVG!
Tag 1 – von Petersberg zur Neuhütt-Alm
Unsere Wandertour beginnt am Kloster Maria Weißenstein, Südtirols bedeutendstem Wallfahrtsort. Zwei große Daten prägen die mittelprächtige Basilika: 1553, als Druglord Leonhard Weißensteiner die Kapelle erbaute, nachdem ihm den Erzählungen zufolge die Jungfrau Maria erschienen war und 1988, als der Messias himself in Form des Papstes Johannes Paul II. herniederfuhr, um Urlaub in Südtirol zu machen. Vor allem letzteres Datum ist mithilfe zahlloser Fotografien und „leicht“ kitschiger Stickereien in einem eigens dafür angelegten Raum lückenlos dokumentiert. Naja, jedem das seine.
Draußen ist es jedenfalls schon merklich kühler geworden. Es ist mittlerweile 15 Uhr, der Tacho sagt etwa 10 Grad und wir haben mit unseren knapp 16 Kilo auf dem Rücken noch ein gutes Stück Weg vor uns. Klar, ich hätte mich gewichtsmäßig auch einschränken können, aber ich habe ehrlich gesagt keine Lust, so ne Astronautennahrung zu kredenzen, wenn ich mit Mütterchen Natur am Start bin. Dann doch lieber ein sattes Pfund Käse und ne gute Wurscht.
Aber zurück zum Thema. Der Markierung 2 folgend, führt uns der Weg durch Fichten- und Latschenwälder immer in Richtung Weißhorn. Gegen 19 Uhr schlagen wir unser Camp auf der Neuhütt-Alm auf, von wo aus wir ein gigantisches Panorama auf das Schwarzhorn, das Weißhorn und den Naturpark Trudner Horn genießen.
Tag 2 – der Aufstieg auf das Weißhorn
Der Sonntagmorgen beginnt wie gewöhnlich. Ausschlafen, rumtrödeln, Kaffee trinken. Und Wurstbrot. Traditionen soll man sich ja schließlich bewahren.
Irgendwann machen wir uns doch auf die Socken und folgen weiter dem Wanderweg Nummer 5 (rot-weiß-rote Markierung). Über eine freie Wiesenfläche mit Wegkreuz und Panorama über die Bletterbachschlucht laufen wir weiter aufwärts in Richtung Gipfel. Als die Schneefelder häufiger und die Steigung immer steiler werden, verstecken wir unsere Rucksäcke und nehmen nur das Nötigste mit. In meinem Fall sind das die restlichen 300 ml Wasser, ein paar Energieriegel, die Kameratasche und das Stativ.
Immer steiler, immer unwegsamer wird das Gelände. Die Regenfälle der vergangenen Tage haben den Boden aufgeweicht und zu rutschigem Schlick verwandelt.
Schließlich passieren wir die Baumgrenze und erreichen den oberen Bergkamm, über den wir zum Gipfelaufstieg kommen. Allerdings wird der Zustieg zum Klettersteig durch ein massives Schneefeld behindert. Aber es hilft nichts. Wenn man auf den Gipfel will, muss man gezwungenermaßen da durch.
Ist jetzt natürlich etwas suboptimal, dass ich das zwei Kilo schwere Stativ in der Hand habe.
Naja, wird schon gehen. Schritt für Schritt taste ich mich nach oben, das Stahlseil des Klettersteigs fest im Blick. Noch ein paar Meter, dann kann ich es greifen. Einen Schritt rechts von mir grinst mich die Bletterbachschlucht 400 Metern tief an. Auf der linken Seite sieht es ähnlich aus. Wäre besser, wenn ich jetzt nicht auf dem Schnee ausrutsche. Eine Hand greift in den Schnee, mit der anderen Hand stütze ich mich auf dem Stativ ab.
Mit nasskalter Hand bekomme ich das eisige Stahlseil zu greifen. Nachdem das Schneefeld geschafft ist, kommt der steinige Teil des Gipfelaufstiegs. Brüchige und scharfe Felskanten wechseln sich mit steilen Spitzkehren ab, Schneewehen verbergen den Blick auf den Untergrund. Mit jedem Schritt könnte man auf losen Untergrund treten und sich selbst oder seinen Hintermann verletzen. Der eisige Wind zieht durch jede Öffnung in den Klamotten, während das kalte Stahlseil in die Innenseite der Handfläche schneidet. Ich verfluche dieses gottverdammte Stativ, bringe es aber nicht übers Herz, es auf halbem Weg stehen zu lassen. Also weniger jammern, dafür mehr Zähne zusammenbeißen und durch. Jeder Schritt ist einer näher am Gipfel, näher an einem unvergesslichen Panorama über die Dolomiten und die Fleimstaler Alpen.
Und dann ist es endlich geschafft. Ich setze mich vor das Gipfelkreuz, lehne mich an und lasse meinen Kopf gegen die massiven Holzbalken fallen. Der Ausblick lässt mich den Hunger, den Durst und die Mühen des Aufstiegs auf einen Schlag vergessen.
Geil. Einfach nur geil.
Tag 3 – GeoParc Bletterbach und Heimreise nach Berlin
Nach einer Übernachtung am Bergrücken treten Robert und ich am folgenden Tag den Rückweg durch die Bletterbachschlucht an. Der so genannte „Grand Canyon Südtirols“ entstand während der Eiszeit vor 18.000 Jahren und ist etwa 400 Meter tief. Interessant ist dabei vor allem der Querschnitt durch die verschiedenen Gesteinsgruppen der Dolomiten. Als Ort von „außergewöhnlicher Schönheit“ gehört die Bletterbachschlucht zum UNESCO-Welterbe Dolomiten. Der Weg durch das Flussbett führt über 40 Millionen Jahre alte Vulkangesteine aus der Perm- und Trias-Zeit, vorbei an Wasserfällen und Felsabbrüchen. Man erhält hier einen faszinierenden Blick in das Innere der Berge und in den Aufbau der Dolomiten.
Gemäß der Angaben auf der Website des Geoparcs Bletterbach wurden seit dem Ende der letzten Eiszeit vor 18.000 Jahren mehr als zehn Milliarden Tonnen Gestein ins Etschtal abgetragen – alleine durch die Kraft von Wasser, Wind und Wetter. Umso spannender ist es, dem kleinen, unscheinbaren Bachlauf zu folgen, der sich über die Jahrtausende über 400 Meter tief in das Gestein gegraben und somit den Blick auf die Entstehungsgeschichte der Dolomiten ermöglicht hat.
Und wer die Augen offen hält, findet nicht nur in der Schlucht, sondern überall auf dem Weg dorthin bis zu 240 Millionen Jahre alte Steine, Spuren von Dinosauriern und Meeresablagerungen in Form von Muscheln, Schnecken und Kopffüßlern, die vor langer Zeit in den Urmeeren gelebt haben.
Infokasten
- Dauer: 2-3 Tage
- Kosten: ca. 130 Euro pro Person (ab Berlin)
- Schwierigkeit: mittel
- Kondition: machbar
- Gelände: Latschenwald, Almwiesen, Geröll, Fels
- Ausgangspunkt: Maria Weißenstein
- Ziel: Besucherzentrum GeoParc Bletterbach
Geil! Freut mich von Dir so ein cooles Update zu lesen!
Liebe Grüße
Andy
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Hallo Julian , ich bin echt begeistert!! Da bekommt man echt Reiselust! Weiter so…
Liebe Grüsse aus Urbach